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Helmstedt und der 2. Weltkrieg

Im Februar 1944

Ein Bericht nach 80 Jahren

Das war ein Sonntagmorgen, wie man sich ihn im Winter wünscht. Stadt und Land waren verschneit. Aus einem unverstellt blauen Himmel schien die Wintersonne. Mehrere Fenster im Haus waren "eingehängt“, d.h. sie waren leicht geöffnet, aber die Flügel mit dem Fensterriegel zusammengehalten.

Mein Schwester wurde 24. Ihr Mann Gerd war vom Fliegerhorst in Braunschweig angereist, die Freundin Marianne aus Magdeburg. Ich war Luftwaffenhelfer und hatte Urlaub. Wir wollten den Wintertag genießen. So machten wir uns auf zum Spaziergang. Meine Schwester, Gerd und Marianne gingen in Richtung Elzweg, Mein Schwester Anne und ich wollten eine Runde um die Wälle gehen. Als Anne und ich das lange Ende des Langen Walles am Langen Steinweg erreicht hatten, heulten die Sirenen zum Fliegeralarm, eine Routinesache zu jener Zeit. Wir kehrten um, gingen unbesorgt das Stück zurück in Richtung Batteriewall. Auf dem Kleinen Wall forderte uns ein Mann in Parteiuniform auf, einen Keller aufzusuchen. Aber Anne, selten um einen gute Ausrede verlegen, sagte: "Ich bin Luftschutzwart, ich muss nach Haus.“


Zu Haus hörten wir Motorengeräusch und sahen aus den Fenstern, ich oben aus dem Erkerfenster. Von Süden näherte sich ein Pulk Flugzeuge, und ich rief: “Da brennt eines!“ nicht ahnend, dass es das Rauchzeichen für die Flugzeuge war, Bomben zu werfen. Ein dröhnendes Bombengewitter ging nieder, das Haus schüttelte sich. Wir sprangen in den Keller, aber schnell trat wieder Stille ein. Wir wagten uns nach draußen. Hatte es auch uns getroffen? Auf dem Hof brannte eine Brandbombe. Später zeigte sich, dass sie auf das Dach gefallen war. Aber ein Dachsparren hatte widerstanden und sie in den Hof abgelenkt.

Anne und ich liefen auf den Wall. Aus dem obersten Geschoss von Nr. 8 qualmte es. Eine Brandbombe steckte im Sofa der Frau Stottmeister. Beherzt warfen Nachbarn das Möbel mit Bombe aus dem Fenster und retteten so das Haus. Anders im Haus nur 5. Es brannte ab. Noch schien uns der Schaden nicht groß zu sein. Erst später zeigte sich das ganze Ausmaß.

Aber wo waren die drei anderen? Schließlich kamen sie erschöpft an. Sie hatten sich in Ackerfurchen gerettet. Als sie am brennenden Haus Nr.5 vorbeikamen, zeterte Fräulein Kraut etwas über "die Offiziere, die jetzt spazieren gehen.“ Ganz ungerecht, denn drei Tage danach wurde das Kind meiner Schwester, ein Mädchen geboren, aber verständlich bei der Verzweiflung der Frau angesichts des Untergangs ihres schönen Hauses.

Anne und ich liefen zum Alten Friedhof. Der Vorderteil des Strürz’schen Hauses lag in Trümmern. Anne half bei der Bergung der Kinder. Keines war verletzt. Auf dem Elzweg stand vor den Trümmern seines Hauses mein Klassenkamerad Gerd B. Er suchte die Mutter, die im Haus verblieben war. Er hatte Feuerwache in der nahen Schule gehalten. Die Mutter lag erschlagen unter den Trümmern. Rüdiger M. erzählte später seine Geschichte. Als die Bomben fielen, liefen er, seine Mutter, seine schwangere Schwester zur Treppe. Seine Schwester gab ihm einen Stoß. Er fiel die Treppe hinab. Das rettete ihn. Mutter und Schwester wurden vom zusammenstürzenden Haus begraben. Das Erlebnis hat ihn für sein Leben gezeichnet. Mein Vater half in der Stadt. Er kam spät nach Haus und berichtete von den Toten, die in der Turnhalle des TSV in der Henkestraße aufgebahrt waren.

Am 23. war der große weiße Kachelofen im elterlichen Schlafzimmer geheizt. Es war wohlig warm. Die Hebamme, Schwester Natalie kam, dann der Arzt und Geburtshelfer Hans Schuster, ein rosiges, glattes Kind wurde geboren. Dr. Schuster - er war Bayer- sagte zu meiner Schwester:“ Hiltraud, Du hast a scheenes Kind.“

Die Freude war viel größer als es aller Schrecken des Sonntags gewesen war.

“All’s well that ends well“?

Bericht von Joachim Giermann

Fotos: Stadtarchiv Helmstedt; Melsene Johansen und Helgard Helmich / Archivbilder Helmstedt.
Hans-Ehrhard Müller / Helmstedt unterm Hakenkreuz.




Quelle:
Helmstedter Altstadt-Brief   
Ausgabe:  2 / 2024
Herbert Rohm

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